


Der in Beijing gelegene Tempel der Weißen Wolken (Baiyun Guan) ist der älteste taoistische Tempel und der Ursprungsort der Quanzhen-Sekte (Bewahrung des Wahrhaften). Hier hat die Chinesische Gesellschaft der Taoisten ihren Sitz.
Der Taoismus ist eine in China entstandene Religion. Seine Ursprünge reichen weit zurück, doch als Religion begründet wurde der Taoismus erst im 2. Jahrhundert von Zhang Daoling (34-156 n. Chr.) Zhang rief in Sichuan die Sekte Zhengyi (Aufrichtigkeit und Einheit) ins Leben. Später wurde Zhang Daoling von seinen Anhängern als "Himmelsmeister" verehrt , und die Zhengyi-Sekte wurde auch "Sekte des Himmelsmeisters" genannt.
Als der eigentliche Schöpfer der taoistischen Philosophie aber gilt Laotse, ein Denker der Frühlings- und Herbstperiode (770-476 v. Chr.). Das Buch "Tao-te-king", in dem Laotses Lehre aufgeschrieben ist, gilt den Taoisten als ihr Kanon.
Die Taoisten glauben an die Existenz des allumfassenden und immerwährenden 'Tao". Ihrer Meinung nach hat das Tao Himmel und Erde geschaffen, und durch Meditation und ein tugendhaftes Leben solle man danach streben, mit dem Tao eins zu werden.
In den zweitausend Jahren seines Bestehens übte der Taoismus einen großen Einfluß auf die Philosophie, Medizin, Literatur, Kunst und Ethik sowie die Sitten und Bräuche der chinesischen Nation aus. Er ist nicht nur auf dem Festland Chinas, sondern auch in Hongkong, Macao, auf Taiwan und unter den Auslandchinesen verbreitet.
Im Taoismus gibt es mehrere Sekten, die beiden größten sind die Zhengyi im Süden Chinas und die Quanzhen im Norden. Erstere legt besonderen Wert auf fromme Andachten, während letztere die individuelle Meditation betont.
Die umfangreichste Sammlung taoistischer Schriften sind die sogenannten "Taoistischen Werke" aus der Ming-Dynastie (1368-1644), die 5.485 Bände zählen.
Taoistische Tempel sind in ganz China verbreitet. Sie wurden vor allem an bekannten Bergen gebaut. Berühmt sind die Tempel am Longhu-Berg in der Provinz Jiangxi, am Qingcheng-Berg in der Provinz Sichuan, im Wudang-Gebirge in der Provinz Hubei, am Maoshan-Berg in der Provinz Jiangsu, im Taishan-Gebirge in der Provinz Shandong und im Huashan-Gebirge in der Provinz Shaanxi. Insgesamt gibt es etwa 1.600 taoistische Tempel auf dem Festland Chinas, in denen rund 25.000 taoistische Mönche und Nonnen leben. Noch einige zehntausend wohnen außerhalb der Tempel. Über 2.000 taoistische Tempel gibt es auf Taiwan und mehr als 100 in Hongkong und Macao.
Seit der Gründung der Volksrepublik im Jahre 1949 wird in China eine Politik der Religionsfreiheit praktiziert. Im April 1957 fand eine Landeskonferenz der Taoisten statt, auf der die Chinesische Gesellschaft der Taoisten ins Leben gerufen wurde.
Der Tempel der Weißen Wolken wurde während der Regierungszeit des Tang-Kaisers Kaiyuan (713-741) gebaut und hieß zunächst Tianchang Guan (Tempel des Weiten Himmels). Die Laotse-Statue aus Marmor, die in dem Tempel steht, stammt noch aus der Tang-Zeit.
1224 kam Qiu Changchun, ein Jünger Wang Chongyangs, des Begründers der Quanzhen-Sekte, aus Shandong nach Beijing. Unter seiner Anleitung wurden mehrere Hallen neu gebaut. 1227 wurde der Tempel von Dschingis Khan in Changchun Gong (Palast des Ewigen Frühlings) umbenannt, und kurz darauf wurde er zum Zentrum der Longmen-Sekte, eines Zweigs der Quanzhen-Sekte.
Als Qiu Changchun starb, bauten seine Jünger zum Andenken an ihrem Meister östlich des Changchun Gong einen Hof namens Baiyun Guan. Mitte des 14. Jahrhunderts ließ Ming-Kaiser Zhu Di den Changchun Gong renovieren, wodurch der Tempel seine heutige Gestalt bekam.
1443 stiftete der Ming-Kaiser Yingzong eine Tafel mit der Inschrift "Baiyun Guan". Seitdem hat der Tempel diesen Namen.
Zu Beginn der Qing-Dynastie setzte eine Blütezeit des Tempels ein. Während der Regierungszeit des Kaisers Sunzhi (1644-1661) nahm Wang Changyue, Abt der siebten Generation der Longmen-Sekte, dreimal im Baiyun Guan rund tausend Schüler auf. Der Tempel wurde mehrmals erweitert. In den Regierungszeiten der Kaiser Qianlong (1736-1796) und Jiaqing (1796-1821) wurden die Hallen auf der östlichen und der westlichen Seite gebaut. 1887 wurde mit Geldspenden des Eunuchen Liu Chengyin der sogenannte Hintere Garten angelegt.
In den Jahren 1956, 1980 und 1999 wurde der Tempel restauriert. Die letzte Restaurierung kostete über 25 Millionen Yuan (3,024 Mio. USD). Sie wurde teils von der Regierung und teils von Taoisten aus Hongkong finanziert. Alte Bauten und farbige Wandgemälde wurden wiederhergestellt, 68 Skulpturen neu geschaffen, und die ganze Tempelanlage wurde mit Brandschutzeinrichtungen und Beleuchtungen ausgestattet.
Am 15. Oktober 2000 fand eine große Feier anlässlich der Fertigstellung der Renovierung statt. Über 1.000 Menschen nahmen daran teil, neben geladenen Persönlichkeiten Taoisten aus verschiedenen Landesteilen sowie aus Hongkong und Macao.
Die Tempelanlage nimmt eine Fläche von 60.000 qm ein. Die Gebäude machen ein Sechstel der Gesamtfläche aus. Über 20 Hallen stehen hier, darunter die Halle des Jadekaisers, die Halle der Vier Heiligen, die Halle der Drei höchsten Gottheiten und die Halle der Acht Unsterblichen. Im hinteren Teil liegt der stille Yunji-Garten. Hier befinden sich schöne Pavillons, bizarre Felsen und das Yunji-Haus mitWandelgängen.
Zu den wertvollsten Schätzen des Tempels zählen Steintafeln mit dem Text des "Tao-de-king", dessen Schriftzeichen nach der Handschrift Zhao Mengfus, eines berühmten Kalligraphen der Yuan-Zeit, eingraviert wurden, die mingzeitliche Auflage der "Taoistischen Werke der Regierungsperiode des Kaisers Zhengtong", die der Kaiser Yingzong dem Tempel geschenkt hatte, eine goldene Glocke, die vom Kaiser Kangxi der Qing-Dynastie gestiftet wurde, sowie gestickte Banner und Gewänder, die die Kaiserinwitwe Cixi dem Tempel geschenkt hatte. Aufbewahrt werden ferner viele taoistische Rollbilder, Tafeln mit Inschriften, die von den Kaisern Kangxi und Qianlong geschrieben wurden, und ein Gemälde der Kaiserinwitwe Cixi mit dem Titel "Winterkirsche".
Der Baiyun Guan ist heute eine von in- und ausländischen Touristen vielbesuchte Stätte. Jährlich zum Frühlingsfest findet hier ein großer Tempelmarkt statt. Tausende von Menschen kommen dann hierher, und kaum einer vergisst, einen der Steinaffen hinter dem Eingangstor zu streicheln oder Geld durch ein "Münzenloch" zu werfen, denn beides, so glaubt man, bringe Glück.(China Heute/China.org.cn, 4. Juni 2003)