Die Kanton-Hankoubahn (Yüehanbahn).
Das Rückgrat des ganzen chinesischen Eisenbahnnetzes ist die Zentralbahn (s. III.) von der Reichshauptstadt Peking nach der südlichen Handelsmetropole Kanton. Nur der nördliche Teil, die Strecke Peking-Hankou mit 1214 km, ist ausgeführt worden. Die für die südliche Hälfte mit etwa derselben Länge erteilte Konzession hatte ein wechselvolles Schicksal.
Eine etwa 52 km lange Strecke – nicht eigentlich in der Trasse der Yüehanbahn – Kanton-Samschui wurde gebaut. Sie ist jetzt Staatseigentum geworden und rentiert sich durch lebhaften Personenverkehr befriedigend. Die Bahn verbindet doppelgleisig die Millionenstadt Kanton mit dem südwestlichen Fatschan, dem Birmingham Chinas. Die Strecke soll Zusammenschluß mit der englischen Bahn von Hongkong nach Kanton und der portugiesischen von Makao nach Kanton sowie der eigentlichen Kanton-Hankoubahn erhalten.
Die Amerikaner stießen bei den Vorarbeiten auf den unüberwindlichen Widerstand der örtlichen Bevölkerung, besonders in der fremdenfeindlichen Provinz Hunan. Eine Änderung der Linienführung wurde beschlossen. Dabei zeigte sich aber auch, daß der Kostenvoranschlag mit 80 Mill. M. nur etwa die Hälfte des wirklich nötigen Kapitals umfaßte. Gleichwohl gelang es den Amerikanern, einen neuen Konzessionsvertrag mit einer Erhöhung des Kapitals auf 160 Millionen durchzusetzen. Sie bildeten zur Finanzierung eine Gruppe mit englischen Kapitalisten. Diese zogen sich jedoch wegen des Ausbruchs des Burenkrieges wieder zurück. Ein noch größeres Mißgeschick kam durch den Tod des führenden energischen Amerikaners Brice hinzu. Neue Schwierigkeiten ergab die Tatsache, daß die Belgier durch Aufkauf möglichst vieler Aktien sich die Mehrheit in der Gesellschaft verschafft hatten, ein Umstand, der die Chinesen erbitterte, denn sie hatten gerade, um dem französisch-belgischen Einfluß ein Paroli zu bieten, nur von den Amerikanern als Unternehmern etwas wissen wollen. Viele Chinesen wollten aus dem Wechsel der Nationalität ein Recht Chinas zum Widerruf der Konzession herleiten. Bevor es hierzu kam, hatten die Amerikaner durch das Dazwischentreten Pierpont Morgans sich wieder die Mehrheit in der Gesellschaft zu sichern gewußt. Zum Weiterbau kam es aber doch nicht, vielmehr trug die Pekinger Regierung der erregten Volksstimmung dadurch Rechnung, daß sie unter schweren Opfern die von ihr umsonst verliehene Konzession zurückkaufte. Zu diesem Zwecke nahm sie von der Hongkonger Regierung ein Darlehen von 30 Mill. M. auf unter der besonderen Bedingung, daß im Falle einer künftigen Erbauung der Linie und der Notwendigkeit fremder Hilfe solche von England genommen werden müßte.
Nunmehr versuchten die Chinesen, den Bau selbst in die Hand zu nehmen. Es gelang ihnen, eine große Aktiengesellschaft ins Leben zu rufen. Über 8 Millionen Aktien sind verausgabt worden mit Beteiligungsquoten bis herab zu 10 M. Die Gesellschaft und mit ihr das Werk hatten unter langdauernden Intriguen und Eifersüchteleien der verschiedenen Interessentengruppen zu leiden, bis endlich zur Tat geschritten wurde. Im Juni 1907 wurde die konstituierende Generalversammlung abgehalten, im Mai 1908 wurde ein englischer Chefingenieur angestellt.
Nunmehr gründeten die Chinesen zur Durchführung des Werks provinzielle Eisenbahngesellschaften. Allein auch jetzt machte der Bau geringe Fortschritte. Die Bahn soll von Kanton nordwärts durch die drei Provinzen Kuangtung, Hunan und Hupei führen. Jede Provinz hat in ihrem Gebiet Anstalten zum Bau getroffen, die immer wieder wegen der fehlenden Geldmittel ins Stocken kamen. Die drei Abschnitte erstrecken sich von Kanton zur nördlichen Provinzgrenze, in Hunan von der Südgrenze über Tschutschau bis Yotschau, in Hupei von Yotschau nach Wutschang.
Die von den Chinesen für den Bau der etwa 374 km langen Südstrecke begründete Gesellschaft konnte sich infolge von Unzukömmlichkeiten bei der Geschäftgebarung nur schwer entwickeln. Große Unregelmäßigkeiten wurden aufgedeckt, die den Kurs der Aktien erschütterten. In langsamem Vordringen ist der Bau 1912 bis Yintak gebracht worden (etwa 140 km), während ein Drittel sich im Bau befindet und das letzte noch nicht neu vermessen ist. Auf dem fertigen Teil besteht bereits ein reger Verkehr: 1909/10 sollen nicht weniger als 1,456.466 Reisende befördert worden und es soll eine Reineinnahme von 294.391 $ erzielt worden sein (gegen 167.200 im Vorjahre).
In der mittleren Sektion, der Provinz Hunan, ist noch weniger geleistet worden, nämlich nur eine Strecke von 50 km, die Linie Tschutschau-Tschangscha. Die Bahn ist fast ganz von Chinesen erbaut worden. An Baugeldern wurden etwa 5 Mill. $ aufgebracht, zum großen Teil durch Steuerzuschläge. Seit Frühjahr 1911 ist die Strecke in vollem Betriebe, die Züge brauchen 21/2 Stunden für die Fahrt. Die Schienen stammten aus Hanyang, die Brücken aus den Maschinenfabriken[201] in Hankau und das übrige Material aus internationalen Quellen, auch deutschen. Gearbeitet wurde unterdes an der nördlichen Fortsetzung auf Yotschau und der südlichen auf Hengtschoufu, aber ohne erhebliche Fortschritte.
Bei Tschutschau endet die 124 km lange Seitenlinie, die, von Pinghsiang kommend, die dortigen ertragreichen Bergwerke in Verbindung mit der Außenwelt bringen soll. Während die Bergwerke unter deutscher Leitung stehen, ist die Bahn von Amerikanern unter chinesischer Aufsicht gebaut worden und heute Staatseigentum. Die Kosten betrugen 31/2 Mill. Taels. Die Lokomotiven stammen aus Deutschland.
Auf der Nordsektion ist überhaupt noch so gut wie nichts geschehen. Die Länge der Strecke Yotschau-Wutschang (gegenüber Hankau) soll 207 km betragen. An ihrem Nordende ergeben sich insofern bauliche Schwierigkeiten, als hier das Hindernis des über 3000 m breiten Yangtse überwunden werden muß. Man hat einen Brücken- oder Tunnelbau, aber auch Fährboote in Erwägung gezogen.
Die Pekinger Regierung hatte eingesehen, daß es ohne fremde Hilfe nicht gelingen werde, den Bau der Yuehanbahn fertigzustellen. Nach langen und schwierigen Verhandlungen gelang es, am 14. und 15. Mai 1910 über Linien in einer Gesamtlänge von 2400 km eine internationale Verständigung zu erzielen, und die chinesische Regierung schloß mit den Bevollmächtigten der Kapitalisten der vier Mächte Deutschland, England, Frankreich und der Vereinigten Staaten am 20. Mai einen Vertrag. Hiernach ist jede der vier Gruppen gleichberechtigt, stellt Ingenieure und liefert Material für die ihr zugewiesene Strecke. Eine Anleihe zum Kurs von 95 in der Höhe von 120 Mill. M., rückzahlbar in 40 Jahren, wird durch die europäischen Kontrahenten ausgegeben. Eine Ergänzungsanleihe von 80 Mill. M. kann die chinesische Regierung für Zweigbahnen nach Wunsch einfordern. Deutschland hat seine Beteiligung an der Yuehanbahn aufgegeben und übernimmt ein Teil der Bahn von Hankou nach Setschuan zum Teil, u.zw. soll die Teilstrecke von Hankou nach Itschang den Franzosen und von Itschang nach Tschengtufu den Deutschen zufallen.
Das Schicksal der Bahnpläne, wie das der Anleihe ist freilich durch die neuesten umwälzenden Geschehnisse wieder ganz ungewiß geworden. Waren es doch nicht zum wenigsten die Eisenbahnfragen, die in den Städten, aus denen die Bewegung entsprang, Tschengtufu und Wutschang, die Gemüter bewegten.
Die Kanton-Kowloonbahn. England ließ sich im Jahre 1898 die Konzession zu einer Bahn verleihen, die den Endpunkt der Linie ans Meer, nämlich an das Hongkong auf dem Festlande gegenüberliegende Kowloon verlegte. Soweit dieser Küstenstrich englisches Gebiet ist, konnte England ohne weiteres zum Bau schreiten. Aber erst 1906 begannen die Arbeiten auf dem englischen Gebiete und am 1. Oktober 1910 wurde die etwa 36 km lange Strecke dem Verkehr übergeben. Die Konzession für die weitere Strecke ging den Engländern durch Nichtgebrauch wieder verloren, gleichwohl sind Engländer die eigentlichen Erbauer.
Die Länge der Bahn auf chinesischem Boden beträgt 144 km, sie gehört der chinesischen Regierung. Im Herbst 1911 wurde der volle Betrieb eröffnet. Auf der englischen Strecke war ein Gebirge, das die Küste bildet, zu durchdringen. Die Steigung beträgt durchgängig 1 : 100. Es waren 49 Brücken in Längen von 1∙75 bis zu einer von 67 m zu bauen. Alle Brücken sind zur späteren Aufnahme eines zweiten Gleises vorgerichtet. Sie sind meist aus massivem Mauerwerk aufgebaut. Wo die nötigen Fundamente nicht gelegt werden konnten, wurden Eisenkonstruktionen auf Pfeilern aus Ziegelsteinen aufgeführt. Am schwierigsten waren die Tunnelbauten und Einschnitte. Im ganzen wurden 5 Tunnel gebaut, deren längster 2418 m lang ist. Die etwa 11 m langen Schienen sind aus englischem Stahl und haben ein Gewicht von etwa 42 kg f. d. m. Der Bahnkörper ist im allgemeinen 5∙8 m breit. Als Arbeitskräfte dienten an den Bahnstrecken durch die Reisfelder chinesische Frauen, als Beförderungsmittel der chinesische – auf dem Kopf getragene – Korb. Der Bahnkörper im freien Felde besteht aus Schlamm, mit Rasen an den Böschungen, im gebirgigen Teil aus Granitbrocken. Bei den Tunnelbauten wurden zu Anfang nur indische Arbeiter beschäftigt. Später kamen Chinesen, die aus Südafrika zurückgekehrt waren, hinzu. Das rollende Material ist durchwegs englisch. Die ursprünglich auf 5 Mill. $ berechneten Baukosten haben die Höhe von 12∙3 Mill. erreicht. Gleichwohl ist der Ertrag schon im ersten Betriebsjahr erfreulich.
Auf der chinesischen Strecke ergaben sich Schwierigkeiten nur aus der ablehnenden Haltung der Bevölkerung. Die Baukosten sollen 121/2 Mill. $ nicht überschritten haben. Die Lokomotiven sind englischen Ursprungs, die Schienen aus Hanyang. Eine Verwaltungsgemeinschaft besteht zwischen den beiden Teilstrecken nicht, nur in den Fahrplänen wird aufeinander Rücksicht genommen. Auch fehlt es noch an der 3 km weiten Verbindung zum Endpunkt der Yuehanbahn in Kanton.[202] Es fährt täglich ein Schnellzug in jeder Richtung, der 5 Stunden benötigt.
Die Bahn von Kanton nach Makao. Die Portugiesen haben 1902 eine Konzession auf 50 Jahre erwirkt zum Bau einer Eisenbahnlinie, die ihre Kolonie Makao mit der Stadt Fatschan bei Kanton verbinden soll. Sie hoffen, durch diese etwa 200 km lange Bahn wenigstens teilweise die alte an Hongkong verlorene Stellung als Handelsplatz wiederzugewinnen. Das Kapital wird von einer chinesisch-portugiesischen Gesellschaft aufgebracht, dem »sinolusitanischen Syndikat«. Vom Gewinn soll das Syndikat 1/10, die chinesische Regierung 3/10 erhalten. Die Bahn wird wohl kaum mehr als örtliche Bedeutung erlangen. Seitdem 1908 der portugiesisch-chinesische Vertrag aufgelöst worden ist, verlautet nichts mehr von dem Plane.
Die Sunningbahn. Diese etwa 88 km lange Linie verbindet die Orte Kongmoon-(Freihandelsplatz)-Kungyik und Sam kap hoi (San tschia hai). Kungyik, der eigentliche Ausgangspunkt der Bahn, liegt am Sunchongcreek, 10 km von Kongmoon, das wieder 140 km von Hongkong entfernt ist. Sam kap hoi ist ein chinesischer Hafenplatz und liegt südwestlich von Makao. Die Bahn ist ganz mit chinesischen Mitteln und von chinesischen Ingenieuren gebaut. Das Kapital von 5 Mill. M. wurde von im Auslande lebenden Chinesen aufgebracht. Auch der leitende Ingenieur hatte vierzig Jahre in Amerika gelebt. Die Bahn hatte nicht mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, dafür umsomehr Rücksicht auf andere Hindernisse zu nehmen. Alle Gräber wurden respektiert und so fährt die Bahn in endlosen Windungen durch die Ebene. Ihre Bedeutung ist rein örtlich. Das Material stammt aus den Vereinigten Staaten und aus Europa (Belgien und Deutschland). Mit dem Bau wurde 1906 begonnen, 64 km der Strecke konnten im Juni 1909 dem Verkehr übergeben werden. Inzwischen ist auch der Rest fertiggestellt worden. Westliche und nördliche Verlängerungen nach Makao und Tatschan sind geplant.
Die Bahn von Amoy nach Tschangtschou. Schon seit längeren Jahren besteht der Plan, den guten Hafen von Amoy mit dem Binnenlande zu verbinden. Amoy liegt auf einer Insel dem Festlande gegenüber und beherrschte einst den Teehandel Formosas, bis diese Insel japanisch wurde. Nun will die »Fukieneisenbahngesellschaft« dem Handel neues Leben zuführen durch Eisenbahnverbindungen, die nach Süden in die Provinz Kuangtung (Kanton) und nach Norden in die Provinz Kiangsi geplant sind. Einstweilen ist von den Plänen nur ein Teil ausgeführt worden. 44 km lang führt die Bahn von Sungsu gegenüber Amoy nach Tschangtschou und ist – bis auf eine große Brücke – nahezu vollendet. Die Baukosten, nur von Chinesen aufgebracht, sind auf 71/2 Mill. M. bemessen, von denen ein Teil eingezahlt ist. Die Bahn verursachte ihren chinesischen Erbauern erhebliche Geländeschwierigkeiten. Mit Rücksicht auf dieselben mußten insbesondere zahlreiche größere Brücken und Durchlässe hergestellt werden. Die Schienen lieferten die chinesischen Stahlwerke in Hanyang. Eine Lokomotive stammt aus Deutschland, das übrige rollende Material meist aus Amerika. Tschangtschou ist ein bedeutenderer Handelsplatz mit Kohlenfeldern und einem für China seltenen Holzreichtum in der Nähe. Der von der Bahn berührte Landstrich bringt üppig Reis, Tabak, Tee und Zucker hervor, auch ist er reich an Eisen, Blei, Porzellanerden, Ton- und Salzlagern. Wegen der hohen Baukosten läßt sich jedoch ein befriedigendes Erträgnis zunächst nicht erwarten.
Die Bahn von Swatau nach Tschautschau. Diese 46 km lange Linie führt von dem Fremdhandelsplatz Swatau nach der ansehnlichen Binnenhandelsstadt Tschautschau. Sie ist die erste mit nur chinesischem Gelde erbaute Bahn. Ihre Erbauer waren Japaner. Das Kapital betrug etwa 4 Mill. M. Das Material ist japanisch und amerikanisch. Die wichtigen Beamtenposten im Betriebe haben Japaner, die untergeordneten Chinesen inne. Die Bahn wurde am 16. November 1906 eröffnet, im Oktober 1908 kam eine Verlängerung bis zum Hau-Fluß bei Yenkai hinzu. Die Rentabilität der teuer gebauten und nur vom Personenverkehr lebhaft benutzten Bahn soll unbefriedigend sein.
Die Yünnanbahn ist die südlichste Eisenbahn in China. Sie verbindet die französische Kolonie Tongking mit der Provinzialhauptstadt Yünnanfu. Ihre Erbauer sind Franzosen. Die Linie ist sowohl politisch als auch technisch interessant.
Die Lage der Franzosen in Tongking ist im Vergleich zu der der Engländer in Indien günstig. Sie haben im Tal des Roten Flusses eine Art Zugangsstraße nach Yünnan, während Indien von China abgeschlossen ist. Es gelang dem tatkräftigen Gouverneur von Indochina, Doumer, Regierung und Parlament Frankreichs zum Erlaß des Gesetzes vom 25. Dezember 1898 zu bestimmen, durch das der Bau eines Eisenbahnnetzes in Tongking und über die Grenze nach Yünnanfu genehmigt wurde. Die Konzession für die Bahn ist auf 80 Jahre erteilt, darnach geht sie ohne Entgelt in das Eigentum der chinesischen Regierung über. Diese übernahm nur die Pflicht, für die Hergabe des nötigen Geländes zu sorgen. Die französische Regierung rief für die Anlage der Bahn mit Unterstützung der führenden Finanzleute die »Compagnie Française des chemins de fer de l'Indo-Chine et du Yunnan« ins Leben.
Die Gesamtkosten waren auf 80 Mill. Fr. veranschlagt. Das Mutterland hat eine Zinsbürgschaft von 3 Mill. jährlich übernommen und so gelang es, ein Kapital von 76 Mill. Fr. aufzubringen. Den Rest übernahm zur Hälfte die Kolonialregierung, zur Hälfte wurde er von der Gesellschaft gezeichnet. China gewährte Zollfreiheit für alles einzuführende Material.
Der Bau der Bahn hatte unter besonderen Schwierigkeiten zu leiden und dauerte acht Jahre. Zunächst war der Widerstand der Bevölkerung stark und machte sich in Niederbrennung des französischen Konsulats und der chinesischen Zollgebäude in Mengtse Luft. Die im Jahre 1899 begonnenen Arbeiten wurden durch den Boxeraufstand unterbrochen und erst 1901 wieder aufgenommen. 1903 begann der Bau auf chinesischem Boden. Die Terrainhindernisse sind groß. Es galt, eine Steigung von 1700 m in einem Hochplateau zu überwinden. Der Zuweg ist durch tief eingerissene Wasserläufe erschwert. Es wurde aus technischen Gründen die alte Straße und mit ihr der frühere Entwurf verlassen und im November 1902 der Aufstieg in einem Flußtale, dem berüchtigten Namti-Tal, beschlossen.[203] Nach der erneuten Genehmigung der Regierung begann 1904 der Bau auf der ganzen Linie. Er kann sich an Kühnheit mit den amerikanischen Bauten in den Cannons messen. Stellenweise ist das Tal mit seinen steilen 1000–1300 m aufragenden Wänden so eng, daß die Gleise in den Felsen hineingebaut werden mußten. Ganz besonders schlimm aber waren die gesundheitlichen Gefahren. Denn in der dumpfigen Talsohle war ein guter Boden für alle Tropenkrankheiten. Von den aus dem Norden Chinas herbeigebrachten Arbeitern sollen in einem Jahre 3000 gestorben sein, ja, man beziffert den Gesamtverlust auf über 40.000 Köpfe.
Die Gesamtlänge der Bahn, die eine Spurweite von 1∙34 m hat, beträgt von Laukoy, der französischen Grenzstadt, bis Yünnanfu 468 km, von Haiphong, der Haupthafenstadt der Kolonie, bis dorthin 857. 140 Tunnel, davon der längste 600 m, mußten gebohrt werden und eine Unzahl Obergänge, Brücken und Galerien waren herzustellen. Das größte Hemmnis war die starke Steigung. Die höchste beträgt 1 : 40. Ausgehend von einer Erhebung von 90 m über dem Meere bei Laukoy wird schon nach 150 km eine Höhe von 1680 m erstiegen, auf dieser Strecke mußte zwischen km 105 und 120 eine 15 km lange Schleife eingelegt werden und hierzu waren 24 Tunnel sowie ein Viadukt von 67 m Länge und einer Höhe von 80 m über der Talsohle erforderlich. Die Grundgeschwindigkeit der Züge ist nur 24 km, weil das Material noch nicht sehr leistungsfähig ist, besonders an Schnellzugslokomotiven Mangel herrscht, dann aber auch, weil der Oberbau noch nicht genügend gefestigt ist, um die Erschütterungen schnelleren Fahrens zu ertragen. Der Verkehr ist einstweilen noch nicht recht entwickelt. Es verkehren täglich in jeder Richtung ein Personenzugpaar mit Eilgutbeförderung und ein Güterzugpaar. Die landschaftlichen Reize der Fahrt sind unvergleichlich. Mehr als 160 km führt die Strecke durch eine unbewohnte Wildnis, bedeckt mit Urwald, in dem Tiger, Affen, Panther und Wildkatzen hausen. Mit Rücksicht auf die ungeheure Steigung braucht der Zug bis Mengtse 9 Stunden und bis Amitschan 121/2, um dann in einem weiteren Tage bis Yünnanfu zu gelangen. Die Fahrpreise betragen I. Klasse 36 $ mex. (1 $ mex. = etwa 2 M.), II. Klasse 25 $, III. Klasse 161/2 $. Die Fahrt nach Yünnan dürfte sich bald großer Beliebtheit erfreuen, denn das Klima der großen französischen Kolonie ist nicht gesund und es wird jedem Europäer als Wohltat erscheinen, von der Küstenniederung ins Hochgebirge eilen zu können.
Die Anschauungen über die Rentabilität sind geteilt. Die Kosten des ganzen Unternehmens haben den Voranschlag um etwa 90% überschritten. Ursprünglich hatte man mit etwa 100 Mill. Fr. auskommen wollen, die schon nach 3 Jahren verbraucht waren. Um den Bau nicht stocken zu lassen, kam ein vorläufiges Übereinkommen zwischen der Gesellschaft und der Regierung zu stände, demzufolge 35 Mill. Fr. aufgebracht, u. zw. 30 vom Staate vorgeschossen, 5 von der Gesellschaft bezahlt werden sollten. Später (1909) wurde dann eine weitere Anleihe größtenteils zu Lasten der Kolonie im Gesamtbetrage von 53 Mill. ausgegeben. Die 4%ige Anleihe ist vom Staat garantiert und in 65 Jahren zurückzahlbar. Trotz der schweren Zinsenlast nehmen die Franzosen an, daß sich die Bahn bezahlt machen wird. Denn sie erhoffen eine Ablenkung des südwestchinesischen Handels nach den Hafenplätzen ihrer Kolonie Tongking, ferner glauben sie, daß durch die Bahn weite Gebiete erst dem Handel aufgeschlossen werden und insbesondere die Provinz Yünnan, die im 19. Jahrhundert schwer unter Aufständen zu leiden gehabt hat, zu neuer Blüte sich entfalten werde. Yünnan ist die zweitgrößte Provinz Chinas (380.000 km2, also ungefähr die Größe Preußens). Die Bevölkerungsziffer, ehedem auf 32,000.000 geschätzt, dürfte heute nicht viel höher als 12,000.000 sein. An Metallen sind Silber, Eisen, Zinn und Zink, alle in noch nicht erforschten Mengen, vorhanden. Ob sich die Zukunftshoffnungen der Franzosen auf die am 1. April 1910 eröffnete Bahn erfüllen werden, ist jedoch recht zweifelhaft.
Die Konzession für eine Linie mehr nach Osten in China, die von dem Grenzort Langson bis Lungtschau mit 80 km Länge fertiggestellt ist und von da nach Nanningfu in der Provinz Kuangsi und weiter über Kueilin nach den Provinzen Hunan und Kuantung geplant war, hatten die Franzosen bereits im Jahre 1896 erlangt, sie dürfte aber verfallen sein. Es erscheint zweifelhaft, ob sie unter den jetzigen Verhältnissen wieder erteilt werden wird. Überdies wird die Yünnanbahn nur dann einen wirklichen großen Handelsweg darstellen, wenn sie Anschluß an die Provinz Setschuan erhält. Die nördliche Fortsetzung nach Tschengtufu oder Suifu am Yangtsekiang ist daher auch der Franzosen sehnlicher Wunsch. Auch mineralische Schätze Yünnans und die Möglichkeit ihrer Ausbeute sind noch zu wenig erkundet, als daß man einen gewinnbringenden Bergbau mit Sicherheit voraussagen könnte.
[204] 3. Die Zukunft der Bahnen Chinas.
Für das chinesische Eisenbahnwesen ist das wichtigste Problem die umstrittene Frage, ob Bau und Betrieb in Händen des Staats oder Privater liegen sollen und bei Bejahung der ersten Alternative, ob sowohl chinesische wie ausländische Privatunternehmungen ausgeschlossen sein sollen. Bei den überwiegend für ein Staatsbahnsystem sprechenden Gründen muß man, wie fast bei allen das chinesische Wirtschaftsleben betreffenden Dingen europäische Maßstäbe außer acht lassen. So liegt eins der schwersten Bedenken gegen den reinen Staatsbetrieb darin, daß die chinesischen Beamten heute noch nicht die Gewähr bieten, daß sie ihnen anvertraute große Güter getreu verwalten werden. Dasselbe Bedenken in Verbindung mit dem Mangel an eigenen Ingenieuren spricht auch gegen den Bau neuer Linien als rein staatlich chinesischer Unternehmungen. Gewiß hat China bereits gezeigt, daß es allein im stände ist, eine brauchbare Eisenbahn zu erbauen, aber diese Erfahrung darf nicht zu stark verallgemeinert werden. Noch größere Bedenken erheben sich gegen Bau und Betrieb durch rein chinesische private Unternehmungen. Die übergroße Mehrzahl derselben ist kläglich gescheitert an der Unfähigkeit zu strammer Verwaltung. Durch kaiserliches Edikt vom 9. März 1911 ist daher verfügt: »Es wird als politischer Grundsatz aufgestellt, daß die Hauptbahnen der Regierung gehören müssen. Alle Hauptlinien, für die sich vor dem 1. Februar 1911 in den verschiedenen Provinzen Gesellschaften gebildet haben, sind von der Regierung in ihre Hand zurückzunehmen. Alle für die Hauptlinien früher erteilten Konzessionen werden samt und sonders rückgängig gemacht.« Das hierin bekundete energische Streben zu staatlicher Erbauung und Verwaltung der Bahnen ist bei den eigenen Landsleuten nicht stehen geblieben, sondern hat sich auch auf die in Händen von Ausländern befindlichen Bahnen erstreckt.
Die allmähliche Verdrängung der ausländischen und der privaten Unternehmen ergibt sich aus nachstehenden Zahlen (vgl. Tab. S. 189): Es waren vorhanden an fertigen Linien:
1908 | 6698 km, | davon fremd 79·70%, | chinesisch 20·30% |
1912 | 9842 km, | davon fremd 44·75%, | chinesisch 55·25% |
Von den chinesischen Linien befinden sich keine erheblichen Strecken mehr in privaten Händen, so daß ungefähr das Verhältnis von nationalem zu fremdem Unternehmen dem von Staats- zu Privatbetrieb entsprechen dürfte. Die hierin zutage tretende Entwicklung könnte noch andauern, denn China besitzt bei fast allen Bahnen, für die es Konzessionen an Fremde erteilt hat, Rückkaufsbestimmungen, die es ihm ermöglichen, die Linien früher oder später mit oder ohne Opfer an sich zu bringen.
Allein der Mangel an Mitteln und Baumeistern wird China doch noch für lange Zeit auf die Hilfe des Auslandes sowohl beim Erwerb bestehender als auch beim Bau neuer Bahnen anweisen. Sind doch auch die Rückkäufe durchweg nur durch Auslandsanleihen ermöglicht worden. Auf einem Mittelweg wird es dieser Notwendigkeit und dem nationalen Empfinden Rechnung tragen müssen. Die unerläßliche finanzielle und technische Mitwirkung der Europäer wird nicht ausgeschaltet, aber ihr Einfluß auf ein geringeres Maß herabgesetzt werden können, wie dies schon bei den Verträgen über die Tientsin-Pukou-Bahn u.a. geschehen ist. Die Fremden anderseits werden ein gewisses Maß von Kontrolle über die Verwendung der dargeliehenen Gelder nie ganz aus der Hand geben können.
Die Aufgaben, die bis zur Herstellung eines einigermaßen ausreichenden und systematisch zusammenhängenden Eisenbahnnetzes noch zu lösen sind, sind groß und lockend. Daß China auf dem Wege zu einem solchen Eisenbahnnetz ist, dafür spricht einmal die Tatsache, daß trotz der voneinander unabhängigen Linienbauten deren Gesamtheit gleichsam wirtschaftsgesetzlich, wenn auch ungewollt, Planmäßigkeit zeigt, und sodann, daß das Verkehrsministerium selber, wie eingangs bemerkt, einen großen Plan im Jahre 1907 ausgearbeitet und dafür die Genehmigung des Throns erreicht hat. (Neuestens hat der Präsident der Republik einen besonderen Ausschuß zum Studium des Ausbaues der C. eingesetzt. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Schaffung von drei Linien, die das Land von der Ostküste bis an die Grenzen Innerchinas durchqueren sollen. Angesichts des Scheiterns der Anleihe von 1200 Mill. M. bei dem Sechsmächtesyndikat, dürfte die Aussicht auf baldige Ausgestaltung des Netzes in die Ferne gerückt sein.) Einstweilen ist China relativ arm an Bahnen. Während in Deutschland auf 10.000 Bewohner etwa 9∙5 km Eisenbahn entfallen, kommen in China und der Mandschurei auf die gleiche Zahl nur 0∙224 km. Und während in Deutschland auf 100 km2 10∙6 km Eisenbahn kommen, sind es in China nur 0∙221 km. Rechnet man die drei anderen Nebenländer noch hinzu, so wird das Verhältnis noch weit ungünstiger. Einer einzelnen Macht wird es freilich kaum noch gelingen, von der großen Aufgabe sich Stücke zu gesonderter Bearbeitung herauszulösen. Denn die Losung in China ist nicht mehr wie vor 20 Jahren gegen Eisenbahnen überhaupt, sondern gegen die Herrschaft der Fremden im Eisenbahnwesen gerichtet. Nur den vereinten Kräften werden Erfolge beschieden sein. Vom friedlichen, wirtschaftlichen Zusammenwirken der Fremdmächte untereinander und mit den Chinesen wird die künftige Entwicklung des Eisenbahnnetzes und damit des chinesischen Reiches abhängen.